

Wir beginnen unsere Serie Female
Changemakers – Frauen, die etwas bewegen – mit meiner ganz persönlichen
Geschichte. Ich habe mich kürzlich mit meiner guten Freundin Sanna
zusammengesetzt, um über Ereignisse zu sprechen, die im Zusammenhang mit der
Geburt meiner Kinder stattfanden. Diese Ereignisse wirken sich zum Teil bis
heute auf mein Leben und meine Lebensweise aus. In dieser schriftlichen Version
unserer Podcast-Serie werden die aufgetretenen Komplikationen und die ihnen
zugrunde liegenden Ursachen ausführlicher beschrieben. Ich hoffe, mit diesem
Detaillierungsgrad anderen Müttern, bei denen ähnliche Probleme auftreten,
helfen zu können. Insbesondere denen, die ebenfalls an einer GBS-Infektion
leiden oder litten.
Dies ist keine Geschichte einer
persönlichen Tragödie. Ich bin mir nur allzu bewusst, dass viele Mütter etwas
noch Schlimmeres durchmachen oder durchgemacht haben, als ich. Schwangerschaft
und Geburt können, wenn sie schief gehen, zu furchtbaren Erlebnissen werden –
einschließlich des Verlusts eines Kindes.
Stattdessen ist dies eine Geschichte
darüber, wie verdreht unsere offizielle Geburtserzählung und die Infos, die
junge Mütter erhalten, oftmals sind. Onnis Geburt wurde beispielsweise in unserem
Mutterschaftssystem als einwandfreier Erfolg eingestuft. Uns wurde das Gefühl
vermittelt, das beste und einzige Ergebnis einer Geburt darin besteht, dass
Mutter und Kind überleben. Ich denke inzwischen allerdings nicht mehr, dass
dies das ausreichend ist, um die beste Geburtserfahrung einer Mutter zu sein.
Vielleicht noch nicht einmal eine besonders positive.
Wir haben ein System, das stolz darauf
ist, auf Frauen ausgerichtet zu sein. Dennoch scheitert unser
Mutterschaftssystem regelmäßig an Frauen in der postnatalen Phase. Die
körperliche und geistige Gesundheit von Müttern wird nicht nur zweitrangig hinter
dem Kindeswohl, sondern scheint manchmal gar völlig unbedeutend zu sein. Dies
ist eine Geschichte über das Leiden, das unser Mutterschaftssystem schon viel
zu lange ignoriert.
Die Geburt unseres Sohnes, doch er weinte nicht
Ich hatte während meiner ersten Geburt
schwere Komplikationen, die fast tödlich endeten, weil das medizinische Team
mir nicht zuhörte und ich nicht die Pflege und Zuwendung bekam, die ich
gebraucht hätte. Nach 42 + 3 Tagen wurde ich – bereits überfällig – ins
Krankenhaus gebracht, um die Geburt einzuleiten. Doch trotz mehrerer Eipollösungen
und Medikamente passierte drei volle Tage lang erst einmal gar nichts. Ich
erinnere mich daran, wie ich mich in einem verzweifelten Versuch, die Dinge
selbst in Gang zu bringen, eine endlose Anzahl von Treppenstufen hinaufschleppte.
Gleichzeitig wurde ich aber auch immer ängstlicher, weil ich wusste, dass die Wahrscheinlichkeit
von Komplikationen mit jedem Tag der Induktionsperiode stieg. Trotz mehrerer
Versuche, dies anzusprechen, hatte ich nicht das Gefühl, dass das medizinische
Team meinen Sorgen Beachtung schenkte.
Am nächsten Morgen platzte meine
Fruchtblase und ich dachte, die Dinge würden sich endlich vorwärtsbewegen. Im
Geburtszimmer bekam ich eine hohe Dosis Oxytocin, was zu so starken
Kontraktionen führte, dass ich mich kaum noch bewegen konnte. Nach etwa 10
Stunden und fünf Epiduralanästhesien trat eine Infektion auf, die meine
Temperatur rapide in die Höhe schnellen ließ. Bald darauf überkam mich eine
Welle von Schüttelfrost, die dazu führte, dass mein ganzer Körper
unkontrolliert zu zittern und zu beben begann. Zu diesem Zeitpunkt ging die
Herzfrequenz meines Babys durch‘s Dach und das medizinische Team beschloss,
einen Notfall-Kaiserschnitt durchzuführen. Dies war das Einzige, was ich zu
vermeiden gehofft hatte: dass die Entbindung plötzlich eine unvorhergesehene,
beängstigende Wendung nimmt und sich Komplikationen mit alarmierender
Geschwindigkeit entfalten. Ich hatte nie wirklich Angst vor der Geburt selbst. Den
körperlichen Schmerz hatte ich rationalisiert und erwartet und ich war bereit,
ihn tapfer durchzustehen. Als mir aber die Dinge aus den Händen glitten, war
ich erschrocken und fühlte mich hilflos und völlig außer Kontrolle.
Ich habe eine lebendige Erinnerung an
den Operationssaal, in dem ich aufgrund des starken Zitterns während der
Operation festgehalten werden musste. Ich glaube nicht, dass ich jemals in
meinem Leben so verängstigt gewesen bin. Dies waren die ersten Anzeichen dafür,
dass die Sepsis Einzug hielt und mein Körper darauf reagierte. Die Operation
schien eine Ewigkeit zu dauern und als sie das Baby endlich herausholten,
herrschte Stille. Diese Sekunden und Minuten, die wir darauf warteten, unser
Baby endlich weinen zu hören, waren einige der schrecklichsten Momente, die ich
je erlebt habe. Wir haben gewartet und gewartet, aber er hat einfach nicht geschrien.
Und da ich mir aufgrund des Zitterns und des Festgehaltenwerdens während des
Eigriffes einen Muskel im Nacken gezerrt hatte, konnte ich meinen Kopf nicht
drehen, um zu sehen, was am Tisch neben uns geschah. An dem Tisch, an dem nach
und nach immer mehr Ärzte unseren Sohn betreuten.
Das Geburtstrauma, das ich erfahren
habe
Unser Sohn wurde halb bewusstlos
geboren, mit einem schwachen Puls, einer blass bläulich grauen Farbe und nicht
ansprechbar. Erst nachdem er ungefähr 10 Minuten lang beatmet worden war, fing
er selbstständig zu atmen an. Und dann kam er endlich; der erste Schrei. Aber
als die Krankenschwester ihn auf meine Brust legen wollte, zischte ich sie an,
sie solle ihn wegnehmen. Ich hatte Angst, ich würde sterben.
Was folgte, war eine endlose Kette
bedrohlicher Komplikationen, die sich aus der schweren Sepsis ergaben. Unser
Sohn, bei dem ebenfalls Verdacht auf eine Infektion bestanden hatte, erhielt
zum Glück nach drei Tagen auf der Intensivstation für Neugeborene Entwarnung.
Mein Zustand verschlechterte sich jedoch immer weiter. Innerhalb von fünf Tagen
nach der Obstruktion in meinem Darm versagten mehrere Organe. Die Infektion führte
dazu, dass Flüssigkeiten in meine inneren Organe und in mein Bindegewebe
eindrangen und ich wie ein Elefant anschwoll. Doch das alles erfuhr ich erst
viel später. Die Tage im Krankenhaus waren zunächst ein ständiger Kampf
zwischen dem Versuch, mich genügend auszuruhen und dem Versuch, mich zu
bewegen, da dies die einzige Chance für meinen Darm war, wieder mit der
selbstständigen Arbeit zu beginnen und so eine weitere Operation zu verhindern.
Als meine Infektionsrate unter einen
bestimmten Schwellenwert fiel, wurde ich aus der Entbindungsstation entlassen.
Zufälligerweise war das der gleiche Zeitpunkt, an dem ich mich unnatürlich
benommen fühlte, fast so, als wäre ich unter Drogen gesetzt worden. Sogar meine
Pupillen waren stark geweitet. Die Krankenschwester ging nicht weiter auf meine
Symptome ein und sagte nur, das sei etwas, das eine Mutter kurz nach der Geburt
fühlen könnte. Laut ihr sei es wahrscheinlich einfach der Stress der neuen
Situation. Ich war erleichtert, dass ich endlich nach Hause gehen durfte,
fragte mich aber gleichzeitig, ob es wirklich normal sei, sich nach der Geburt
so schlecht zu fühlen. Selbst, dass ich nach der Entbindung nicht in meine
Schwangerschaftskleidung passte, fiel zunächst niemandem auf. Ich ging also mit
einem emotionalen Durcheinander im Kopf, mit blendenden Kopfschmerzen, einem
geschwollenen Körper und Atembeschwerden nach Hause. Nach und nach dämmerte es
mir: Irgendetwas stimmt hier nicht.
Und tatsächlich: Es dauerte nicht lange,
bis ich wieder im Krankenhaus war. Nur diesmal in der Notaufnahme, ohne mein
Baby. Es stellte sich heraus, dass mehrere meiner Organe versagt hatten. Ja, du
hast richtig gelesen. Erst nachdem ich in die Notaufnahme eingeliefert wurde,
wurde dies vom medizinischen Personal diagnostiziert. Infolge der Sepsis und
des Austritts von Flüssigkeit in meine Organe und in mein Gewebe hatte sich die
rechte Seite meines Herzens verdoppelt. Aufgrund der Flüssigkeitsretention in
meiner Lunge hatte ich Atembeschwerden. Mein systolischer Blutdruck – die Ursache
meiner blendenden Kopfschmerzen – betrug 220. Erst jetzt begriff ich, wie ernst
die Lage wirklich war. Erst jetzt begann ich zu verstehen, dass man sich nach
der Geburt eben nicht so fühlen sollte.
Nach mehreren Tagen und Nächten im
Krankenhaus begann sich mein Zustand wie durch ein Wunder endlich zu
verbessern. Mit Medikamenten wurde mein Blutdruck gesenkt und die Flüssigkeiten
verließen langsam meinen Körper. Ich war aus dem Schlimmsten heraus und auf dem
Weg zur Genesung.
Die institutionelle Verweigerung des
Geburtstraumas
Um zu verarbeiten, was mit mir passiert
war und auf die Mängel in der medizinischen Versorgung aufmerksam zu machen,
verklagte ich das Krankenhaus auf Fahrlässigkeit. Doch obwohl mir in vielen
Punkten Recht geben wurde, hatte ich nie das Gefühl, dass das Krankenhaus
wirklich die volle Verantwortung für das übernahm, was mir in ihrer Obhut
passiert war. Stattdessen erhielt ich Statistiken über die vielen erfolgreichen
Geburten, an denen sie jedes Jahr beteiligt waren und über die angeblich
marginalen Fälle, in denen etwas schief ging. Insgesamt lautete die Botschaft,
dass die Dinge manchmal nicht wie geplant liefen – aber dass dies nun mal alles
Teil der Entbindung und nicht zu verhindern sei.
Es gibt eine Erklärung für diesen
offensichtlichen Zustand der institutionellen Verweigerung. Geburtstraumata und
-verletzung stehen im Widerspruch zum vorherrschenden Ethos der
Mutterschaftsfürsorge, welcher die vaginale, „natürliche“ Geburt für Frauen als
die bevorzugte, sichere und positive Entbindung darstellt.
Da die öffentlichen Gesundheitsdienste immer wieder die Augen verschließen, steigen die Raten von Geburtsverletzungen und Traumata weiter an. Faktoren wie alternde Mütter, Fettleibigkeit und größere Neugeborene fließen hier ebenfalls mit ein. Aber warum wird dem scheinbar routinemäßigen psychischen und physischen Schaden, den so viele Frauen in der postpartalen Phase erleiden, dennoch keine Aufmerksamkeit geschenkt?
Dies ist eine Frage, die sich Maureen Treadwell, Vorsitzende der Birth Trauma Association, seit fast zwei Jahrzehnten stellt. "Wenn ein Mann sich einer Zahnoperation unterzogen hat, um Betäubung gebeten und keine erhalten hat, empfehlen wir eine Therapie. Wenn jedoch einer Frau dasselbe passiert, sagen wir ihr, dass sie ein gutes Mädchen ist und ihre Sache gut gemacht hat. Es ist der reine Wahnsinn“, sagt sie (The Guardian, 2017). Laut Treadwell wird das Geburtstrauma durch unsere Kultur noch verschärft, da diese nur eine (und zwar eine positive) Art von Geburt vorsieht. „Das System und die vorherrschende Kultur geben Frauen ganz falsche Erwartungen an die Geburt. Einem wird vorgetäuscht, dass die Geburt dieses wunderbare, einzigartige und magische Erlebnis ist. Wenn die Entbindung dann anders abläuft oder etwas schief geht, schämt sich die Frau, weil sie denkt, sie hätte etwas falsch gemacht."
Leben oder Sterben sollte keine Frage
des Glücks sein
Nachdem sich mein Gesundheitszustand
verbessert und ich etwas Abstand zu den Ereignissen bekommen hatte, begann ich
langsam zu verstehen, wie ernst die Lage tatsächlich gewesen war: Sobald die
Organe aufgrund von einer Sepsis versagen, sinkt die Überlebenschance unter
50%. Als ich meinen Fall mit einer Ärztin besprach, die zum Zeitpunkt meiner
Erkrankung Dienst gehabt hatte, bestätigte sie mir unverblümt, dass die
Komplikationen in meinem Fall nahezu tödlich verlaufen wären. Wäre ich nicht
schon vor der Entbindung bei so guter körperlicher Gesundheit gewesen, wäre ich
heute vermutlich nicht mehr hier. Ich kann mich glücklich schätzen, dass ich
mich in einem so späten Stadium noch so gut von den Komplikationen erholt habe.
Allerdings sollte Leben oder Tod keine Frage des Glücks sein.
Körperlich hat sich mein Zustand schnell
verbessert, doch die geistigen Narben trage ich immer noch. In diesen ersten
Wochen und Monaten nach der Geburt blieb das Glücksgefühl, das ich bei dem
Gedanken an mein erstes Kind erwartet hatte aus. Trotz der Erleichterung über
das wundersamen Überlebens unseres Sohnes war ich seltsam benebelt. Ich
kümmerte mich zwar pflichtbewusst um meinen Sohn, fühlte mich aber seltsam
losgelöst von allem, was um mich herum geschah. Rückblickend weiß ich, dass ich
mit posttraumatischem Stress zu kämpfen hatte.
Die Geburt eines Kindes kann für den Geist und den Körper einer Frau zutiefst traumatisch sein. Nicht ohne Grund starben vor etwas mehr als einem Jahrhundert noch fast 7% der schwangeren Frauen in Europa daran. Eine Entbindung gilt heute als sehr viel sicherer. Wenn dies jedoch der Fall ist, warum leiden dann noch immer so viele Frauen unter den undiagnostizierten und unbehandelten Folgen einer Geburt?
Einer der Ursachen dafür ist die kollektive Scham und der institutionelle Sexismus, welche bis heute die Debatte über Geburtstraumata und Verletzungen prägen. Und damit meine ich nicht, dass unsere Gesellschaft prüde ist. Ich meinte damit, dass es einen Irrglauben darüber gibt, dass die Entbindung eine stets positive Erfahrung ist und dass eine Mutter die körperlichen und seelischen Folgen eben lächelnd ertragen muss.
Diese allgemeine Einstellung spiegelt sich auch in den etablierten Praktiken der reproduktiven Gesundheitsversorgung wider. Denn diese berücksichtigen oftmals nur das Baby, nicht jedoch die Mutter oder deren Bedürfnisse während oder nach der Geburt. Diese institutionelle Ablehnung von individuellen Bedürfnissen und Erfahrungen führt dazu, dass Wünsche oder Komplikationen der einzelnen Frau schnell übersehen werden. Wenn immer wieder eine Schablone auf menschliche Wesen angewendet wird, ist es kein Wunder, dass einige nicht hindurchpassen.
Als ich auf meine eigenen Erfahrungen zurückblickte, begann ich zu verstehen, wie unvorbereitet ich tatsächlich gewesen war. Ziemlich naiv hatte ich mir eingeredet, dass es besser wäre, einfach alles auf mich zukommen zu lassen. Ein Gedanke, der durch die vorgeburtliche Erziehung und Vorsorge noch verstärkt wurde. Oh, wie falsch ich damit gelegen hatte.
Bewusstsein für Geburtstraumata schaffen
Ich bin heute der Überzeugung, dass
schwangere Frauen sich gar nicht früh genug über die Risiken von
Geburtstraumata und -verletzungen informieren können. Ich weiß leider auch,
dass dies noch immer viel zu selten von unserem medizinischen System aktiv
unterstützt wird.
Ein Geburtstrauma wird als schwere
Verletzung oder Beschädigung definiert – es kann physisch oder psychisch
(zutiefst verstörend und belastend) oder eine Kombination aus beiden sein. Ein
physisches Geburtstrauma kann als Dammriss, anhaltende Schädigung der
Beckenbodenmuskulatur, Beckenorganprolaps (POP), Beckenfraktur (Schambein,
Steißbein, Kreuzbein) oder Kaiserschnittwunde auftreten.
Psychische Traumata können gemeinsam mit
oder ohne physisches Trauma auftreten und zeigen sich als: postpartale
Depression und / oder Angststörung, posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)
oder Zwangsstörung (OCD). Typisch für ein psychisches Trauma nach der Geburt
sind obsessive Gedanken, die sich auf das tägliche Verhalten auswirken können (z.
B. das ständige Überprüfen des Babys oder wiederkehrende depressive Gedanken,
die sich auf deine allgemeine Lebensfreude auswirken.).
Während die eine Frau bestimmte Dinge einfach
verarbeitet oder gar nicht erst bemerkt, können die gleichen Dinge bei einer
anderen Frau ein Trauma auslösen. Dies hängt einerseits von der Frau, ihren
bisherigen Erfahrungen und vielen anderen Aspekten ab – andererseits aber auch
von der Pflege und Behandlung, die die Frau während der Erlebnisse rundum
erhält. Auslöser für ein Geburtstrauma können beispielsweise bestimmte Erwartungen
an die Geburt sein, die in der Realität nicht erfüllt werden oder nicht mit der
Realität übereinstimmen. Durch den Einfluss der sozialen Medien träumen viele
Frauen zum Beispiel von einer friedlichen Wassergeburt ohne Medikamente. Doch
viel zu oft kann man im Vorfeld nicht erahnen ob und welche Komplikationen
auftreten. Ein Notfallkaiserschnitt ist wohl selten die Traumvorstellung der
eigenen Entbindung. Wenn du jedoch von Anfang an darauf vorbereitet bist, dass
dies unter Umständen passieren kann, kann eine psychische und physische
Vorbereitung im Fall der Fälle bereits sehr hilfreich sein, um mit der
Situation bestmöglich umgehen zu können.
Ich habe vor meiner ersten Geburt natürlich
an Geburtsvorbereitungskursen teilgenommen. Rückblickend waren die
Informationen, die ich dort erhielt, jedoch bestenfalls oberflächlich und haben
mich in keinster Weise auf Komplikationen oder Dinge, die schief gehen könnten
vorbereitet. Der allgemeine Konsens war eher: „Komplikationen treten nur selten
auf. Das ist dann ein großes und blutiges Unglück, wir wollen Ihnen jedoch
keine Angst machen, denn Ihnen passiert das sicher nicht.“ Damals dachte ich
nicht weiter nach, doch spätestens als ich meine Hebamme nach der Entlassung
aus dem Krankenhaus tränenreich fragte, warum mich niemand vorgewarnt hätte,
wurde mir klar: Es gibt einige große Lücken in den vorgeburtlichen
Informationen.
Wenn die Dinge bei der Geburt nicht nach
Plan verlaufen, kann dies leicht zu einem Verlustgefühl von Macht und Kontrolle
führen. Frauen sind bei der Geburt physisch und emotional in einer sehr
verletzlichen Position. Das Gefühl, die Kontrolle und Entscheidungsfreiheit
über den eigenen Körper zu haben, kann da einen großen Unterschied bedeuten. Um
diese Kontrolle zu behalten, müssen Frauen sich auf das vorbereiten, was sie
erwartet. Und zwar auf Gutes, wie auch auf Schlechtes und mögliche
Komplikationen. Denn diese können auftreten. Ich hoffe inständig, dass bei dir
alles gut geht und die Geburt genauso abläuft, wie du es dir wünscht. Ist dies
jedoch nicht der Fall, möchte ich dir Werkzeuge und Informationen mitgeben, die
du nutzen kannst, um auch im Ernstfall Herrin der Lage zu bleiben, die
Kontrolle in der Hand zu behalten und so ein mögliches Geburtstrauma so gut es
geht zu vermeiden. Ein geschärftes Bewusstsein, eine gute Vorbereitung und
Zugang zu unvoreingenommenen, evidenzbasierten Informationen sind unserer
Meinung nach der Schlüssel, um eine gebärende Mütter dazu zu ermächtigen, in
brenzligen Situationen selbstbewusst auftreten zu können, sich durchzusetzen
und sich notfalls gegen das medizinische Personal behaupten zu können, um so
die Geburtserfahrung zu erleben, die sie selbst gewählt hat – auch wenn die
Dinge nicht wie vorher geplant verlaufen. Es ist schließlich deine Entbindung!
Die Komplikationen meiner zweiten Schwangerschaft
Nach einem langen Kampf und einigen
Fruchtbarkeitsschwierigkeiten waren mein Partner und ich begeistert, als wir
endlich herausfanden, dass ich mit unserem zweiten Kind schwanger war. In Woche
15 bekam ich jedoch Bauchschmerzen und Fieber und wurde zur weiteren
Untersuchung ins Krankenhaus überwiesen. Ich wurde zunächst von einem
Geburtshelfer untersucht, der mich nach einem Ultraschall zu weiteren Tests
weiterleitete. Die nächsten zwei Tage wurde ich im Krankenhaus von Untersuchung
zu Untersuchung geschubst und verbrachte eine Ewigkeit in Wartezimmern. Als ich
schließlich zu schwach wurde und mich irgendwo hinlegen wollte, wurde mir
widerwillig ein Krankenhausbett zugeteilt. Nachdem ich mich hingelegt hatte, bekam
ich starke Kontraktionen und Rückenschmerzen – ich verstand jedoch noch immer
nicht, wie kritisch die Situation eigentlich war. Nach 4 Stunden bat ich schließlich
panisch einen Pfleger, mir zu helfen. Ein vielbeschäftigter Arzt kam herein, gab
mir eine Harnwegsinfektionsdiagnose und schickte mich nach Hause. Obwohl ich –
wie auch schon bei meiner ersten Geburt – erleichtert darüber war, nach Hause
gehen zu dürfen, wusste ich tief in mir, dass etwas nicht stimmte und dass in
mir gerade etwas ganz anderes passierte, als die Diagnose vermuten ließ.
Früh am nächsten Morgen wachte ich von
dem Gefühl auf, dass Flüssigkeit aus mir heraustropfte. Ich ging ins Badezimmer
und wusste sofort, dass meine Fruchtblase geplatzt war. Ich hatte keine
Harnwegsinfektion. Ich hatte eine Fehlgeburt.
Wir eilten zurück ins Krankenhaus –
diesmal in ein anderes – wo ich sofort untersucht wurde. Der Arzt bestätigte,
dass meine Fruchtblase tatsächlich vorzeitig geplatzt war und dass in meinem
Mutterleib nur noch sehr wenig Fruchtwasser vorhanden war. Das Baby hatte
jedoch noch einen Herzschlag, also wurde mir umgehend ein Krankenhausbett
zugewiesen. Langsam sank die Realität bei mir ein.
Einen ganzen Tag lang klammerte ich mich
an die Hoffnung, dass meine Schwangerschaft irgendwie auf magische Weise
einfach weitergehen könnte. Als bei mir jedoch am nächsten Tag wieder eine Sepsis
diagnostiziert wurde, war klar, dass das Baby so schnell wie möglich aus meinem
Bauch herausgeholt werden müsse. In diesem Moment zerbrach meine Welt auf eine
Weise in Stücke, die ich nicht beschreiben kann. Ich sollte mein gesundes Baby
mit einem funktionierenden Herzschlag zur Welt bringen, obwohl klar war, dass
es dies nicht überleben würde.
Alles ist dunkel, wenn man ein Kind verliert
Die folgenden Tage und Wochen im Krankenhaus waren geprägt von völliger Verzweiflung, einem unglaublichen Gefühl von Verlust und Traurigkeit. Es war, als wäre mir das Herz aus meiner Brust gerissen worden. Und doch gab es an dieser Erfahrung auch eine schöne Seite: In diesem Krankenhaus waren die Krankenschwestern und Ärzte unglaublich aufmerksam und unterstützend. Sie gaben mir Trost und Raum zum Trauern; sie hielten meine Hand und nahmen sich die Zeit, sich wirklich um mich zu kümmern. Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, als Frau und als Mutter betreut zu werden.
Ich entdeckte, dass einer schwangeren
Frau, die Symptome einer schweren Infektion zeigt, eigentlich gemäß der
normalen Krankenhausrichtlinie immer sofort ein IV-Antibiotikum verabreicht
werden sollte – unabhängig davon, wo sich die Infektion befand. Mir wurde klar,
dass in meiner Pflege wieder einmal ein Fehler gemacht worden war.
Auf unsere Bitte hin besuchte uns ein
Priester. Er brachte uns eine der schönsten Botschaften ins Krankenzimmer mit.
Er sagte, wenn wir dieses Baby nicht verloren hätten, würden wir das Baby, das
als nächstes kommen würde, niemals kennenlernen. Diese Worte gaben mir so viel
Kraft. Das Krankenhaus legte unser handflächengroßes Baby in einen kleinen
Baby-Sarg und brachte es zu uns, damit wir es sehen konnten. Ich durfte ihn in
meiner Hand halten und mich richtig verabschieden. Danach wurde unser Baby
eingeäschert und seine Asche wurde auf einem nahen gelegenen Friedhof im
Abschnitt für Sternenkinder verteilt. Dies hatte eine große symbolische
Bedeutung für uns.
Ein Verständnis für meine eigene
Gesundheit entwickeln
Am darauffolgenden Tag – nachdem ich
immer mehr zu der Auffassung gekommen war, dass die Dinge nicht so hätten enden
müssen, wie sie es getan hatten – nahm ich das Telefon in die Hand und rief die
Ärztin an, die mich zu Anfang der Komplikationen in meiner zweiten
Schwangerschaft behandelt hatte. Ich erzählte ihr von den Ereignissen der
vorherigen Tage und wollte wissen, warum sie sich entschieden hatte, meine
Symptome nicht zu behandeln. Sie musste schließlich über die
Krankenhausrichtlinien bezüglich der Verabreichung von Antibiotika in Fällen
wie meinem informiert gewesen sein. Sie erklärte, dass sie meinen körperlichen
Zustand als fit und gesund erlebt hatte und demnach die spontane Entscheidung traf,
die Krankenhausrichtlinien nicht zu befolgen.
Das kam mir regelrecht verrückt vor. Es
konnte doch nicht sein, dass man jedes Mal dem Boden zusammenzubrechen und laut
um Hilfe schreien musste, um eine angemessene Behandlung zu erhalten! Doch
scheinbar war genau das eben doch nötig. Ich verstand: Um die Pflege und
Aufmerksamkeit zu erhalten, die ich brauchte, musste ich zukünftig Kriegerin
und Hüterin meiner eigenen Gesundheit werden.
Nach der Fehlgeburt hatte ich sehr mit
der schrecklichen Traurigkeit und Leere zu kämpfen, die einen erfüllt, wenn man
ein Kind verliert. Ich konnte mich zudem einfach nicht damit abfinden, ein
gesundes Baby zu verlieren. Besonders weil dies unter Umständen hätte
verhindert werden können, wenn ich die richtige Pflege und Aufmerksamkeit
erhalten hätte.
Ich hatte das Bedürfnis, meine
Infektionen auf einem medizinischen Level zu verstehen und ging zu einem
privaten Geburtshelfer, der mich mit immenser Freundlichkeit und
Hilfsbereitschaft empfing. In der Obhut dieses Mediziners begann ich endlich
damit, meine traumatischen Erfahrungen zu überwinden und meine eigene Gesundheit
besser zu verstehen. Als ich an einen Spezialisten für Infektionskrankheiten
(den ehemaligen Leiter des Krankenhausbezirks in Helsinki) verwiesen wurde,
erfuhr ich, dass die zugrunde liegende Ursache meiner Infektionen GBS war. Das
Guillain-Barré-Syndrom (GBS) ist ein sehr häufig auftretendes Bakterium, das
sowohl bei Männern als auch bei Frauen vorkommt und in seltenen Fällen – wie
bei mir – schwerwiegende Komplikationen während und nach der Schwangerschaft
verursachen kann.
Das Guillain-Barré-Syndrom: Die
GBS-Infektion und ihre Auswirkungen
Strep B (Beta-Streptokokken) sind
normalerweise harmlos. Wenn jedoch eine schwangere Frau mit Strep der Gruppe B
(GBS) infiziert ist, so kann dies zum Risiko für das Baby werden. Tatsächlich
ist dies gar nicht so selten: Etwa jede 4. Schwangeren leidet an diesem Infekt.
Das Risiko für das Baby besteht vor, während und nach der Geburt. In sehr
seltenen Fällen – wie bei mir – kann eine GBS-Infektion während der
Schwangerschaft zu Fehlgeburten, frühen (vorzeitigen) Wehen oder Totgeburten
führen.
Babys können bereits vor der Geburt und
bis zu einem Alter von etwa 6 Monaten aufgrund ihres unterentwickelten
Immunsystems mit GBS infiziert werden. GBS verursacht meist Infektionen im Blut
(Sepsis), in Flüssigkeit und Gewebe des Gehirns (Meningitis) und in der Lunge
(Lungenentzündung). Einige GBS-Überlebende leiden unter Spätfolgen und
anhaltenden Behinderungen wie Blindheit, Taubheit und psychischen Problemen und
/ oder Zerebralparese. Es kommt zwar ziemlich selten vor, dass sich Babys mit
dem Bakterium infizieren, dennoch besteht das reale Risiko einer Fehlgeburt, einer
Totgeburt oder einer starken Infektion, die zum Tod des Babys nach der Geburt
führt.
Eine Studie aus dem Jahr 2015 schätzt,
dass jährlich etwa 57.000 fetale Infektionen / Totgeburten auftreten.
Eine separate systematische Überprüfung im Jahr 2015 ergab, dass bis zu 12,1%
der Totgeburten durch GBS verursacht werden, wobei zum Beweisen dieser
These mehr Forschung erforderlich ist. Die von der Weltgesundheitsorganisation
geschätzten 12,1% von 2,6 Millionen Totgeburten pro Jahr ergeben, dass jährlich
314.600 Totgeburten durch GBS verursacht werden könnten. Entgegen der
allgemeinen Annahme, dass durch GBS verursachte Totgeburten sehr selten sind.
Obwohl es bisher keine offiziellen
Richtlinien zur Prävention von vorgeburtlichen GBS-Erkrankungen gibt, existieren
verschiedene wissensbasierte Strategien, die verhindern können, dass ungeborene
Babys mit Strep B oder anderen schädlichen Mikroorganismen infiziert werden:
1. Urinkultur für GBS und andere Bakterien
2. Die Anzeichen einer Infektion bei ungeborenen Babys erkennen lernen
3. Die Warnzeichen und Symptome vorzeitiger Wehen erkennen lernen
4. Unnötige invasive Eingriffe vermeiden
5. Bei Symptomen einer „Vaginitis“ umgehend von einem Facharzt untersuchen lassen
Heutzutage werden schwangere Frauen im
Rahmen der routinemäßigen Schwangerschaftsvorsorge in der Regel auf GBS
untersucht. Wenn die Ergebnisse des GBS-Abstrichs vorhandene Bakterien zeigen,
erhalten die meisten Frauen nach Beginn der Wehen Antibiotika über einen
intravenösen (IV) Tropf. Dies geschieht, um den Fötus vor einer Infektion zu
schützen. Diese Praxis spaltet jedoch die Gemüter und einige Frauen lehnen sie
ab, da Antibiotika sowohl für die Frau als auch für das Baby Risiken und
Konsequenzen mit sich bringen kann. Dies ist natürlich eine subjektive und
nicht ganz einfache Entscheidung, die du als Frau und Mutter selbst abwägen und
für dich treffen musst. In meinem Fall war die Entscheidung einfach: Die
Infektion ließ mir gar keine andere Wahl.
Ich war ziemlich schockiert darüber,
dass ich damals bei meiner Entbindung, trotz einer Reihe von Komplikationen,
die durch die Bakterien verursacht wurden, nie auf GBS untersucht wurde.
Dementsprechend wurden natürlich auch keine Maßnahmen ergriffen, obwohl die
Ursache des Problems mit einem einfachen Vaginalabstrich hätte identifiziert
werden können. Ich bin mir natürlich bewusst darüber, dass Krankenhäuser und
Länder unterschiedliche Ansätze zur Behandlung von GBS verfolgen. Einige entscheiden
sich, Fälle nur dann zu behandeln, wenn Probleme auftreten. Andere gehen
proaktiver vor. Ich persönlich habe das Gefühl, dass bei mir einiges hätte
anders laufen können, hätte ich im Vorfeld mehr Informationen über GBS gehabt
und gewusst, dass ich damit infiziert war.
Ich habe mich von der allgemeinen
Überzeugung leiten lassen, dass man sich als Schwangere keine Sorgen machen
braucht, da meistens sowieso nichts passiert. Im Notfall muss man dann eben
reagieren. Meine ersten zwei Schwangerschaften hingen also einzig und allein
von Glück oder Pech ab. In meinem Fall großes Pech. Ich glaube, es hätte auch
anders ausgehen können, wenn ich mich vorher selbst mehr informiert hätte.
Wenn man jedoch genauer hinschaut, dann
stimmt der Satz „meistens passiert sowieso nichts“ auch gar nicht. Die Sache
ist nämlich, dass diese Komplikationen viel häufiger auftreten, als sie erkannt
und diagnostiziert werden. Tatsächlich sind schlechte reproduktive
Gesundheitsdienste für ein Drittel aller Gesundheitsprobleme von Frauen
weltweit im Alter von 15 bis 44 Jahren verantwortlich. 300.000 Frauen sterben
jedes Jahr global an den Folgen von Schwangerschaft und Geburt. Das ist 1 Frau
alle 2 Minuten. Und damit nicht genug: Fast alle diese Todesfälle und Komplikationen
sind vermeidbar – genau wie meine es gewesen wären.
Wie ich lernte, meinen Körper zu
verstehen
Noch während ich die traumatischen
Erlebnisse verarbeitete, begann ich damit, meinen Körper ganz neu kennen zu
lernen. Trotz allem, was ich erlebt hatte, um an diesen Punkt zu kommen gab mir
das Gefühl, meinen Körper endlich selbst zu verstehen auch ein Gefühl der
Stärke und der Zuversicht. Ich ging weiterhin zu meinem privaten Geburtshelfer,
der, sobald meine dritte Schwangerschaft begann, meine GBS-Infektion
genauestens beobachtete. In der 5. Woche meiner dritten Schwangerschaft wuchs
die bakterielle Besiedlung rapide an und so erstellten wir, gemeinsam mit dem
Arzt für Infektionskrankheiten, einen konkreten Pflegeplan für mich. Dieser
sollte sicherstellen, dass diesmal nichts schieflief. Mein Pflegeplan
beinhaltete regelmäßige Abstriche, die Behandlung mit Antibiotika und das
gelegentliche Wochenende im Krankenhaus, wo ich IV-Antibiotika durch einen
Tropf bekam. Nach langer Überlegung entschieden wir, dass ein geplanter
Kaiserschnitt der sicherste Weg für mein Baby sei, um unter dem Schutz von
Antibiotika auf die Welt zu gelangen.
Ich verbrachte den größten Teil meiner
dritten Schwangerschaft in Panik, weil ich befürchtete, dass sich die Bakterien
wieder festsetzen und sich meine Geschichte wiederholen würde. Aber Tag für Tag
verging und ich wurde immer sicherer. Als es dann soweit war, dass das Baby das
Risiko einer Frühgeburt überlebt hatte, konnte ich langsam wieder frei atmen.
Sicher, ganz stressfrei war auch diese Schwangerschaft nicht, vor allem durch
meine eigene Angst. Eine Sache unterschied meine dritte Schwangerschaft jedoch
ganz gewaltig von den zwei vorherigen: Ich wurde als jemand mit besonderen
Umständen angesehen und mir wurde zugehört. Ich benötigte, wie auch vorher, außergewöhnliche
Pflege – aber diesmal bekam ich diese auch.
Ich glaube nicht, dass ich jemals so zielstrebig
war, wie damals, als ich mit Ella schwanger war. Ich hatte nur noch ein Ziel im
Leben: Mein Baby zu beschützen und es unter jeden Umständen sicher und gesund
auf die Welt zu bringen. Ich war bereit, alles für Ellas Sicherheit zu tun,
damit ihr meine Infektion nichts anhaben konnte.
Als Ella geboren wurde, gab es kein
Trauma, keinen Terror, keine Angst, keine Sepsis. Es war die schönste Erfahrung
meines Lebens und sie hat immens dazu beigetragen, mein Geburtstrauma zu heilen
und mich mit der Vergangenheit abschließen zu lassen. Zum ersten Mal konnte mein
Baby nach der Geburt auf meiner Brust und in meinen Armen liegen. Zum ersten
Mal saugte ich diesen besonderen Geruch eines Neugeborenen auf und fühlte ein
Glück wie nie zuvor.
Die #Metoobirth Bewegung
Finnland ist bekannt für seine
fortschrittliche Gesundheitsversorgung. Dennoch hat eine Bewegung namens
#metoobirth (minamyössynnyttäjänä, angelehnt an die #metoo Bewegung, die gegen
sexuelle Belästigung protestiert und Frauenrechte stärkt) hier in den letzten
Jahren an Dynamik gewonnen. In der Bewegung geht es um Frauen, die „Nein!“ zu
physischer und psychischer Gewalt in der Geburtshilfe sagen. Unter Gewalt im
Kreissaal (auch: Gewalt bei der Geburt oder geburtshilfliche Gewalt) versteht
man die leider viel zu etablierte Praxis, bei der eine Mutter und / oder ihre
Bedürfnisse bei der Entbindung nicht berücksichtigt oder angehört werden. Dies
schließt auch die Folgen der Geburt ein, also Ereignisse, die nach der Geburt
aufgrund von etwas eintreten, das während der Entbindung stattgefunden hat. Wie
oben schon erwähnt ist die institutionelle Ablehnung der individuellen Erfahrung
von Frauen ein großes Problem in der Geburtshilfe, sowie auch in der
Geburtsvorsorge und -nachsorge. Diese Ignoranz Frauen gegenüber lässt sich
zusammenfassen als: "Ihre persönliche Erfahrung spielt keine Rolle, alles was
zählt, ist ein gesundes Baby."
Zu niedrig angesetzte Budgets, knappe Ressourcen
sowie starre institutionelle Strukturen werden in den Geburtserfahrungen von
Frauen deutlich sichtbar. Das Problem sind oftmals nämlich gar nicht die
medizinischen Pflegekräfte, sondern die Strukturen weiter oben. Zu oft fehlt es
an Zeit oder Ressourcen, um sich wirklich auf eine werdende Mutter
konzentrieren zu können oder ihre individuellen Bedürfnisse während und nach
der Geburt zu erfüllen. Tatsächlich ermöglicht es unser System, dass Mütter
systematisch ignoriert werden, während technisch nach Richtlinien, Gesetzen und
Standards kein Fehler gemacht wird. Das bedeutet unter anderem auch, dass
traumatische Geburtserfahrungen regelmäßig unter „erfolgreiche Geburten“ in den
Büchern und Statistiken auftauchen. Denn technisch war ja alles richtig und das
Baby ist am Leben. Wer genau hinsieht, merkt schnell, dass ganz offensichtlich
etwas mit dem System nicht stimmt. Denn immer wieder treten traumatische
Geburten auf, welche zwar als Erfolg verbucht, von den betroffenen Müttern
jedoch als traumatisches und ganz und gar nicht erfolgreiches Ereignis
definiert werden.
Es ist an der Zeit, diese etablierten
Verhaltensmuster zu durchbrechen, bei denen nur die Gesundheit des Babys zählt.
Natürlich ist dies ein wichtiger Faktor. Doch auch die Mutter muss endlich in
den Fokus gerückt werden. Wir brauchen einen kulturellen, gesellschaftlichen
Wandel, der Mütter genauso unterstützt wie Babys. Hier sollte es tatsächlich
gar keinen Konflikt geben. Schließlich möchte jeder ein gesundes Baby und
eine gesunde Mutter.
Wir brauchen eine bessere
Gesundheitsversorgung für Mütter
Eine der führenden Zeitungen in
Finnland, Helsingin Sanomat, berichte vor einiger Zeit von einer Studie des
Familienverbandes von Finnland aus dem Jahr 2015. Dieser Studie nach haben ein Drittel
der Mütter und ein Viertel der Väter aufgrund einer traumatischen
Geburtserfahrung beschlossen, keine weiteren Kinder mehr zu bekommen. Diese
Studie unterstützt eine Theorie, laut der ein Zusammenhang zwischen den
subjektiven Geburtserfahrungen von Eltern und der sinkenden Geburtenraten
besteht.
Das Gefühl, die Kontrolle über eine
schwierige Situation zu haben und selbst am Entscheidungsprozess beteiligt zu
sein, ist nicht zu unterschätzen. Oftmals geht es nämlich gar nicht so sehr um die
Intensität der körperlichen Schmerzen oder die Dauer der Wehen, als vielmehr
darum, während der gesamten Geburtserfahrung aktiv an der Entscheidungsfindung
beteiligt zu sein und sich respektiert und sicher zu fühlen. Tatsächlich
überwiegen diese Faktoren bei vielen Frauen, wenn es um die Frage geht, ob sie
die Geburt ihres Kindes als positives oder negatives Erlebnis empfunden haben.
Sich aktiv beteiligt und sicher zu fühlen hat natürlich einerseits mit den bei
der Geburt anwesenden Personen und dem medizinischen Personal zu tun. Es hat
jedoch ebenfalls mit der eigenen Vorbereitung und dem eigenen Wissenstand zu
tun. Die Geburtserfahrung (ob positiv oder negativ) kann übrigens eine ganze
Reihe an Dingen beeinflussen: Den biologischen Prozess der Bindung an das Baby,
das Stillen, das Risiko einer postpartalen Depression und etwas später auch die
Intimität / sexuelle Beziehung mit dem Partner.
Durch die Verbesserung der
Geburtserfahrung und der Zeit nach der Geburt verbessern wir also nicht nur die
Gesundheit und das Glück junger Familien, wir schaffen auch Rahmenbedingungen,
von denen das medizinische Personal und die gesamte Gesellschaft langfristig
profitiert.
Wenn man die Geschichte betrachtet, so
sind die Geburtsrechte der Frau heute höchstens zweitrangig. Das Schlimmste
daran ist, dass Frauen sich irgendwie daran gewöhnt zu haben scheinen und inzwischen
selbst glauben, dass ein gesundes Kind das einzig wünschenswerte Ergebnis einer
Entbindung ist. Die Gesundheit des Babys ist natürlich wichtig, aber ein
gesundes Baby braucht auch eine gesunde Mutter. Diese beiden Dinge gehen Hand
in Hand.
Die #metoo-Bewegung brach vor einiger
Zeit ein jahrelanges Schweigen. Sie machte Missstände publik und informierte
öffentlich über die Erfahrungen von Frauen. Und genau das ist wichtig. Auch bei
der #metooobirth Bewegung passiert nun ähnliches. Stimmen, die bisher von den Gesundheitsdiensten
stumm geschaltet wurden, werden langsam laut. Immer mehr Fälle werden bekannt
und immer mehr Mütter trauen sich, ihre eigene Geschichte zu erzählen. Und die
Bewegung stößt auf offene Arme. Denn zum Glück sind jüngere Fachkräfte und
Verbraucher längst nicht mehr so willig wie früher, Missstände zu ignorieren.
Standards und Normen sind nicht mehr gut genug, nur weil es eben Normen sind.
Wir sind noch nicht da, wo wir hinmüssen – aber viele Menschen übernehmen
endlich Verantwortung und fordern zielstrebig bessere Lösungen.
Alles beginnt mit dem Bewusstsein
„Was dich nicht umbringt, macht dich
stärker.“, sagt man. Nun, in meinem Fall könnte dieser Spruch kaum wahrer sein.
Nach allem, was ich erlebt habe, stehe ich heute hier und möchte etwas
verändern. Die Erlebnisse haben mich stärker gemacht und ich bin wild
entschlossen die Situation für Mütter und schwangere Frauen zu verbessern. Ich
habe am eigenen Leib erfahren, wie kostbar das Leben ist – und wie schnell es
enden kann. Dadurch schätze ich heute jeden Tag ganz besonders. Ein weiser
Mensch hat mal gesagt, dass das zweite Leben dann beginnt, wenn man erkennt,
dass man nur eines hat. Ich war dem Tod näher, als ich es selbst für möglich
gehalten hätte. Und diese Erfahrung hat mir die Augen für eine ganz neue
Realität geöffnet. Eine Realität, in der man für seine Träume und für positive
Veränderungen kämpft, nicht aufgibt, über sich selbst hinauswächst und jeden
Tag auf’s Neue alles gibt. Jeden Tag. Denn jeder Tag könnte der letzte sein, an
dem du die Chance hast, diese positiven Veränderungen herbeizuführen.
Da einiges von dem, was mir passiert
ist, auf menschliches Versagen zurückzuführen ist, fällt es mir schwer, den
Groll loszulassen, den ich gegenüber den Mitarbeitern des Gesundheitswesens
habe. Ein Teil von mir macht sie noch immer verantwortlich und ist wütend
darüber, dass sie mich im Stich gelassen oder sogar verraten haben. Aber mit
der Zeit lernt man, die Vergangenheit ruhen zu lassen und konzentriert sich
stattdessen auf Dinge, die man tatsächlich verändern oder beeinflussen kann. Für
mich bedeutet das, aus den Erlebnissen zu lernen, ein Verständnis für meine
eigene Gesundheit aufzubauen und meine Geschichte mit anderen zu teilen, um
eine Veränderung in der Pflege und im Umgang mit Müttern zu bewirken. Ich
möchte meine Energie in die Unterstützung von Frauen und Müttern stecken und
daran beteiligt sein, dass sie zukünftig besser behandelt werden.
Die wichtigste Lektion aus meinen
Erfahrungen war die, dass alles mit dem eigenen Bewusstsein und einer guten Vorbereitung
beginnt. Wer gut informiert ist, kann sich selbst besser schützen und behält
die Kontrolle und Entscheidungsmacht auch in stressigen Situationen. Ob reproduktive
Gesundheit oder ein anderer Aspekt deiner Gesundheit: informiere dich und
bleibe auf dem neuesten Stand. Vor allem aber solltest du lernen, deinem Instinkt
zu vertrauen und auf deinen Körper zu hören.
Wir wollen die Stimmen von Müttern hören!
Um eine wirklich positive und
nachhaltige Veränderung im Gesundheitswesen und in der Mutterschaftsfürsorge zu
erreichen, braucht es viele laute Stimmen. Lasst uns unsere Stimmen als Mütter,
Väter und Eltern zusammentun und als Kollektiv sprechen. Gemeinsam werden wir
zum Katalysator für die positive Veränderung, die heute genau hier beginnt.
*Unsere Serie "Female Changemakers" – Frauen, die etwas bewegen– dreht sich um Personen, deren berufliche und persönliche Leidenschaften siedazu veranlasst haben, etwas Außergewöhnliches zu tun, um das Wohlbefinden vonFrauen nachhaltig positiv zu verändern. Im Verlauf der Serie werde ich mitbeeindruckenden Frauengesundheitsexperten, Fachleuten und Eltern sprechen, diealle einen Beitrag dazu leisten, das Leben von Müttern und Frauen zu verbessernund positive Veränderungen in diesem Bereich zu beschleunigen.